
Internationale Familienplanungspolitik Deutschlands
Juni 4, 2025 6:03 pmEuropa weiß alles besser?
Während weltweit der Bedarf an sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) steigt, schrumpfen die entsprechenden Investitionen – auch aus Deutschland. Das zeigt der heute in Brüssel vorgestellte Donors Delivering Report 2025 der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), der jährlich die SRGR-Ausgaben von 32 Geberländern auf Basis offizieller OECD-Daten analysiert.
„Statt ein klares Zeichen für körperliche Selbstbestimmung, Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und damit Menschenrechten zu setzen, zieht sich Deutschland weiter zurück“, kritisiert Vorstandsvorsitzende der DSW. „Dieser Rückgang der Investitionen ist nicht nur politisch ein fatales Zeichen – er hat vor allem gesundheitliche, oft tödliche Konsequenzen für Frauen und Mädchen weltweit.“
Mit rund 599 Millionen US-Dollar investierte Deutschland bereits 2023 sieben Prozent weniger in SRGR als im Vorjahr – und ganze 25 Prozent weniger als noch 2021. Besonders alarmierend: Im Bereich der Familienplanung gingen die Ausgaben sogar um 9 % zurück, auf nur noch 88 Millionen US-Dollar. Umgerechnet bedeutet das: rund 700.000 Frauen und Paare hatten keinen Zugang zu moderner Verhütung, 220.000 unbeabsichtigte Schwangerschaften konnten nicht verhindert und 234 Frauenleben nicht gerettet werden.
„Es ist ein alarmierendes Signal, dass Deutschland in einer Zeit wachsender globaler Krisen und erstarkender antifeministischer Kräfte keine Führungsrolle einnimmt, sondern seine Investitionen kürzt“. Im internationalen Vergleich wird deutlich, wie gering die Priorisierung von SRGR in der deutschen Entwicklungsfinanzierung ausfällt: Trotz seiner Rolle als zweitgrößter Geberstaat weltweit im Bereich der öffentlichen Entwicklungsausgaben (ODA) flossen 2023 nur 1,59 Prozent in SRGR. Damit lag Deutschland im Ranking der 32 OECD-Geberländer lediglich auf Platz 21.
„Wer körperliche Selbstbestimmung, sexuell- reproduktive Gesundheit und Menschenrechte nur als Randthema betrachtet, verkennt ihre Bedeutung für Gleichstellung, Gesundheit und gesellschaftliche Stabilität – besonders in fragilen Kontexten“.“Wir brauchen heute mehr denn je ein klares Bekenntnis zu den Rechten und der Gesundheit von Frauen und Mädchen. Dazu gehört auch: ausreichende und verlässliche Finanzierung.“ Der Rückgang der weltweiten SRGR-Investitionen – insgesamt minus vier Milliarden US-Dollar im Vergleich zum Vorjahr – ist insbesondere auf erhebliche Kürzungen der USA und der EU-Institutionen zurückzuführen. Zum Teil könnten diese Rückgänge allerdings auch auf die zeitliche Verschiebung größerer Beitragszahlungen und nicht ausschließlich auf tatsächliche Kürzungen zurückgehen. Gerade deshalb hätte Deutschland 2023 Führungsverantwortung gut zu Gesicht gestanden – hat diese Chance jedoch ungenutzt verstreichen lassen.
Im aktuellen Koalitionsvertrag habe sich die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz klar zur Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte bekannt. „Jetzt ist es an der Zeit, dieses Versprechen mit Leben zu füllen – durch konkrete Investitionen und politische Priorität.“
Kritische Stellungnahme zur internationalen Familienplanungspolitik Europas:
Die Frage, wie Europa – und insbesondere Deutschland – weltweit über den Zugang zu Familienplanung und reproduktiver Gesundheit entscheidet, berührt einen zentralen ethischen und politischen Zielkonflikt: Wer definiert die Bedürfnisse anderer – und mit welcher Legitimation?
1. Gefahr eines normativen Eurozentrismus
Europa verfolgt mit seinen Entwicklungsprogrammen häufig gut gemeinte, menschenrechtsbasierte Ziele wie körperliche Selbstbestimmung, Gleichstellung und Gesundheitsschutz.
Doch: Wer entscheidet, was Selbstbestimmung bedeutet – und unter welchen Bedingungen?
Der Versuch, universelle Standards auf sehr unterschiedliche kulturelle, religiöse und soziale Kontexte zu übertragen, kann leicht in paternalistische Praktiken umschlagen. Die Vorstellung, dass externe Geber wissen, was „das Richtige“ für Frauen und Familien weltweit ist, ignoriert lokale Realitäten, Traditionen und Machtverhältnisse.
2. Fehlende lokale Partizipation
Programme der Familienplanung werden häufig ohne ausreichende Einbindung der betroffenen Gemeinschaften gestaltet. Entscheidungen über Inhalte, Mittelvergabe und Maßnahmen erfolgen oft in Europa – nicht vor Ort. Das führt zu einer Asymmetrie der Verantwortung: Die Umsetzung wird delegiert, die Definitionsmacht bleibt im Norden. Eine wirksame Unterstützung setzt jedoch partnerschaftliche Ansätze voraus, in denen lokale Organisationen und Frauen selbst Gestaltungsmacht haben.
3. Ambivalenz zwischen Unterstützung und Steuerung
Während SRGR-Programme oft mit Begriffen wie „Empowerment“ und „Rechte“ arbeiten, zeigen Budgetentscheidungen (wie die deutschen Kürzungen) eine andere Realität: Finanzielle Mittel werden instrumentalisiert, um politische oder wirtschaftliche Ziele der Geberländer zu verfolgen – etwa Migrationskontrolle oder geopolitische Stabilität. Dies wirft die Frage auf: Geht es wirklich um die Rechte der Frauen – oder um die Interessen Europas?
4. Kritik aus dem globalen Süden
Zahlreiche Stimmen aus dem globalen Süden fordern seit Jahren ein Ende der bevormundenden Entwicklungshilfe. Organisationen in Afrika, Asien oder Lateinamerika weisen darauf hin, dass Programme zu Familienplanung oft auf Verhinderung von Schwangerschaften fokussieren, statt Frauen echte Wahlmöglichkeiten zu geben – also auch den Zugang zu sicheren Geburten, Bildung oder wirtschaftlicher Eigenständigkeit.
Fazit:
Es reicht nicht, mit guten Absichten zu handeln. Die Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit muss partizipativ, kontextsensibel und machtkritisch sein. Europas Verantwortung liegt nicht im Bestimmen, sondern im Ermöglichen echter Selbstbestimmung – auf Augenhöhe.
Stichwörter: Förderungen, Global, Menschenrechte
Kategorie: Förderungen, News, Politik, Wirtschaft