MEMS Industriepolitik: China setzt industriepolitische Akzente
November 1, 2025 4:22 pmGreater China: MEMS-Branche legt spürbar zu – Chancen für den deutschen Mittelstand
Die Marktforscher von Yole Group berichten in ihrer aktuellen Analyse „Greater China MEMS Industry 2025“ von einer deutlichen Belebung des MEMS-Marktes in der Großregion China. Vor allem der Consumer-Bereich treibt die Entwicklung – mit spürbaren Impulsen, die auch für Technologiezulieferer, Maschinenbauer, Elektronikfertiger und Industrie-OEMs im deutschen Mittelstand relevant sind.
Kernergebnisse auf einen Blick
- Marktgröße 2024: Die MEMS-Erlöse aus der Großregion China beliefen sich 2024 auf rund 1,7 Mrd. US-Dollar – das entspricht 10 % des weltweiten MEMS-Marktes und einem Wachstum von 8,4 % gegenüber dem Vorjahr.
- Dynamik in der Fertigung: Die Foundry-Aktivitäten legten 2024 um 14,3 % zu – ein Indikator für zunehmende lokale Fertigungskapazitäten und eine breiter werdende Auftragsbasis.
- Ausblick: Bis 2030 rechnet die Studie mit rund 2 Mrd. US-Dollar MEMS-Umsatz in Greater China (CAGR 3,6 % von 2024 bis 2030).
Treiber: Consumer zuerst, Automotive und Industrie folgen
Die Nachfrage wird maßgeblich von Smartphones, TWS-Earbuds, Smartwatches und Wearables geprägt. In diesen Anwendungen sind Inertialsensoren, Mikrofone und Drucksensoren zentrale Bausteine. Neben dem Consumer-Segment gewinnen Automotive (u. a. In-Cabin-Komfort und Zustandsüberwachung) sowie Industrie (z. B. Schwingungs- und Akustik-Monitoring für Predictive Maintenance) an Gewicht. Für die Telekommunikation identifiziert die Analyse optische MEMS-Schalter und Mikromirror-Lösungen als zusätzliche Wachstumspfade.
Ökosystem und Wettbewerbslandschaft
Die Studie beschreibt ein Ökosystem, das zunehmend breit aufgestellt ist – von Design über Foundry-Services bis zu integrierten Fertigungsansätzen. Viele Akteure arbeiten fabless oder fab-lite; zugleich investieren integrierte Anbieter in eigene Wafer-Linien, um die Lieferketten-Resilienz zu erhöhen. 2024 wurden demnach rund 338.000 MEMS-Wafer verarbeitet; bis 2030 wird eine Steigerung auf etwa 438.000 Wafer erwartet.
Im Consumer-Nahfeld sind lokale Anbieter in Anwendungen wie Mikrofone und Inertialsensoren gut positioniert. In sicherheitskritischen Automotive-Domänen dominieren weiterhin etablierte internationale Hersteller; in angrenzenden Bereichen entstehen jedoch Einstiegspunkte für neue Wettbewerber.
Relevanz für den deutschen Mittelstand
Für mittelständische Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette – vom Sondermaschinenbau über Material- und Prozessspezialisten bis zu EMS/ODM-Partnern – entstehen mehrere konkrete Ansatzpunkte:
Prozess- und Produktionstechnologie: Die steigenden Foundry-Volumina eröffnen Bedarf an Equipment, Test- und Automatisierungslösungen, Metrologie sowie Backend-Packaging (u. a. für Mikrofonsysteme und Inertialsensoren). Deutsche Spezialanbieter können sich mit Qualität, Zuverlässigkeit und Taktzeit-Optimierung differenzieren.
Material- und Substratlösungen: Fortschritte bei Dünnfilmen, Wafer-Level-Packaging, TSV, Bonding oder Akustik-Kapselmaterialien schaffen Chancen für Anbieter mit zertifizierten Lieferketten und anwendungsnahem Support.
Co-Entwicklung & Design-Services: Die Nachfrage nach anwendungsspezifischen MEMS-Derivaten in Wearables, Audio, Industrie-Sensorik und Fahrzeugkabine begünstigt Engineering-Partnerschaften – etwa zur Systemintegration (Sensor-Fusion, Kalibrierung, Firmware, Test).
Qualifizierung und Industrialisierung: Der Übergang von Prototypen zu hohen Stückzahlen erfordert APQP-/PPAP-fähige Qualitätssysteme, Traceability und Langzeit-Zuverlässigkeitstests. Mittelständische QM- und Testhäuser können hier Time-to-Market verkürzen.
Aftermarket & Services: In der Industrie-Sensorik (Condition Monitoring) entstehen Service-Modelle rund um Predictive-Maintenance-Kits, Datenauswertung und Lifecycle-Management – ein Feld, in dem deutsche Unternehmen Domänenwissen einbringen können.
Handlungsempfehlungen
Portfolio auf Wachstumsfelder ausrichten: Kurz- bis mittelfristig bieten Audio-MEMS, Inertialsensorik und Telekom-Mikrosysteme die höchsten Chancen. Prüfen Sie, wo Kernkompetenzen (z. B. Präzisionsmechanik, Packaging, Prüftechnik) direkt einzahlen.
Fertigungspartnerschaften aufbauen: Die wachsende Foundry-Basis in Greater China eröffnet Dual-Sourcing-Strategien. Kooperationsmodelle mit klaren IP-Regeln und Qualitätsmetriken erhöhen wettbewerbsfähige Skalierbarkeit.
Lokale Compliance & Qualität absichern: Achten Sie auf Zertifizierungen, Materialnachweise und Process Control Plans; diese sind in Consumer-Skalen entscheidend für Ausschuss- und Garantiekosten.
Systemdenken stärken: Der Mehrwert entsteht zunehmend durch Sensor-Fusion, Signalverarbeitung und Software-Integration. Partnerschaften mit Edge-AI- und Firmware-Spezialisten verkürzen Entwicklungszeiten und verbessern Gesamtkosten der Lösung (TCO).
Risikomanagement verankern: Berücksichtigen Sie Währungs-, Export- und Lieferkettenrisiken sowie Qualitäts- und Obsoleszenz-Szenarien; bauen Sie Fallback-Prozesse für kritische Komponenten auf.
Fazit
Die Yole-Analyse zeigt: Die MEMS-Industrie in Greater China wächst wieder spürbar, getragen von Consumer-Anwendungen und einer zunehmend leistungsfähigen Fertigungsbasis. Für den deutschen Mittelstand ergeben sich konkrete Markteintritts- und Kooperationschancen – insbesondere dort, wo Prozess-Exzellenz, Qualität und Systemschnittstellen den Unterschied machen. Wer jetzt Partnerschaften aufsetzt, Fertigungs- und Testkompetenzen skalierbar macht und softwareseitige Mehrwerte mitliefert, kann von der prognostizierten Nachfrage bis 2030 gezielt profitieren.

Redaktionelles
MEMS – Mikro-Elektro-Mechanische Systeme (Definition)
MEMS sind winzige Bauelemente, die mechanische Strukturen (z. B. Feder-Masse-Systeme, Membranen, Mikrospiegel, Mikrokanäle) und elektrische/elektronische Funktionen auf einem gemeinsamen Mikrochipsubstrat (meist Silizium) vereinen. Sie werden mit Verfahren der Mikro-/Mikrosystemtechnik gefertigt (Lithografie, Dünnfilm-Abscheidung, Ätzen, Wafer-Bonding, Wafer-Level-Packaging) und ermöglichen es, physikalische Größen zu messen oder zu beeinflussen – in sehr hoher Stückzahl, mit kleinem Formfaktor und niedrigen Stückkosten.
Typen und Beispiele
Sensoren: Beschleunigungs- und Gyrosensoren (IMU), Drucksensoren, Mikrofone (MEMS-Mics), Magnetometer, Temperatursensoren, chemische/flussige Sensoren.
Aktoren: Mikrospiegel (optische MEMS), Mikroventile/Pumpen (Mikrofluidik), Mikrolautsprecher, RF-Schalter.
Integration: Häufig kombiniert mit ASICs (Signalaufbereitung, A/D-Wandlung), Firmware und Sensor-Fusion.
Kernmerkmale
Miniaturisierung & Integration: Mechanik + Elektronik auf Wafer-Ebene, dadurch robuste, kalibrierbare Systeme.
Massenfertigung: Hohe Yield-Anforderungen, automatisierte Kalibrier- und Testprozesse, Traceability.
Leistungsdaten (typisch): Empfindlichkeit, Rauschdichte, Offset/Drift, Bandbreite, Temperaturbereich, MTBF/Zuverlässigkeit.
Packaging: Wafer-Level-/System-in-Package mit Schutz vor Feuchte/Partikeln und akustisch/thermisch optimiert.
Anwendungen
Consumer: Smartphones, Wearables, True-Wireless-Earbuds (Lage, Schritte, Sprachaufnahme, Gesten).
Automotive: Airbag/ESP, In-Cabin-Monitoring, Reifendruck (TPMS), Navigation/Stabilität.
Industrie/Medizin: Zustandsüberwachung (Vibration/Schall), Mikrofluidik-Dosierung, Labor-on-Chip, Prozessdruck.
Telekom/Optik/RF: Adaptive Optik, LiDAR-Spiegel, optische Schalter, RF-MEMS.
Kurz: MEMS sind die „Sinnes- und Stellorgane“ moderner Systeme—sie erfassen die reale Welt, verarbeiten Signale nahe an der Quelle und steuern mikromechanische Funktionen kompakt, präzise und kosteneffizient.
Sicherheitsrisiken für Deutsche Wirtschaft?
Potenzial ja, Automatismus nein. Der Aufschwung der MEMS-Branche in Greater China ist nicht per se ein Sicherheitsrisiko. Risiken für deutsche Industrie und für die Datentransparenz von Verbraucher:innen entstehen vor allem bei Lieferkettenabhängigkeiten, undurchsichtiger Firmware/Datenwege und fehlender Governance. Mit klaren Maßnahmen lassen sich diese Risiken beherrschen.
Risiken
- Supply-Chain/Abhängigkeit (Single-Sourcing, Export-/Sanktionsrisiken, Obsoleszenz, IP-Exponierung).
- Trust in Hardware/Firmware (fehlender Secure Boot, unsignierte Updates, Telemetrie/Dritt-SDKs).
- Datenfluss & Transparenz (stille Sensorfreigaben, unklare Einwilligung, Inferenzrisiken).
- Compliance/Haftung (DSGVO, NIS2, Cyber Resilience Act, ISO/SAE 21434, UNECE R155/R156, ETSI EN 303 645).
Maßnahmen
- Dual-Sourcing, Exit-Klauseln, IP-Reviews, Fertigungs-Audits.
- Secure Boot, signierte Firmware, HSM-Schlüssel, SBOM, reproduzierbare Builds, Responsible Disclosure.
- Datenminimierung, Edge-Verarbeitung, Pseudonymisierung, klare Lösch- und Update-Politik.
- Transparenz für Kund:innen: granulare Einwilligungen, Privacy-Dashboard, Offline-Modus, klare Erklärtexte.
- Standards/Nachweise: Risikoanalysen, Security-Tests (Fuzzing, Pen-Tests, Side-Channel), Audit-Trails/Traceability.
- Organisation/Verträge: Security-KPIs, Patch-SLAs, SBOM-Pflicht, Ereignismeldefristen, Export-/Rechts-Monitoring.
Einschätzung
- Höchstes Industrieschutzrisiko bei IP-naher Co-Entwicklung/Spezialprozessen → Need-to-Know, Segmentierung, strikte Zugriffe.
- Größtes Consumer-Transparenzrisiko durch App-/Cloud-Ebene, weniger durch den Sensor an sich → Transparenz, Wahlmöglichkeiten, On-Device-Verarbeitung.
- Fazit: Mit technischen Vertrauensankern, diversifizierter Beschaffung und Datengovernance bleibt das Risiko steuerbar; Chancen überwiegen.
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